Sind wir zusammen? Oder was? Das Leben als Mingle

Sind wir zusammen? Oder was? Das Leben als Mingle

vonNicola Erdmann

 

Die Zeiten, in denen ein Kuss oder zumindest der erste Sex es besiegelten, klarmachten, dass das hier nun eine besondere und exklusive Beziehung zwischen zwei Menschen ist, sind vorbei. Leider.
Ob sie ihm als Gastgeberin bei seiner Party helfen wolle, hatte er sie gefragt. Klar wollte Marnie das. Wenn sie an seiner Seite ein Fest geben würde, könnte doch das Verhältnis zu diesem Mann endlich offiziell den Beziehungsstatus erreichen! Also kaufte Marnie sich extra ein neues Kleid, begrüßte die Gäste, half in der Küche.
Bis er, der Mann, mit dem sie am Morgen noch Sex hatte, ihr im Weinkeller diese Frage stellte: „Findest du 500 dafür okay?“ – „Was, Dollar?“ „Ja.“ „Du musst mich doch nicht bezahlen – ich bin doch deine Freundin.“ Er lacht. „Das hab ich ja überhaupt nicht gewusst.“
Für Marnie, Protagonistin der US-TV-Serie „Girls“, die sich mit den großen und kleinen Lebensproblemen vierer New Yorkerinnen zwischen Mitte und Ende zwanzig beschäftigt, bricht damit eine kleine Welt zusammen – während er überhaupt nicht versteht, was das Problem ist. „Aber wir hatten Sex!“, sagt sie, „Ja und?“, fragt er.
Etwas Halbes, nichts Ganzes

Das, was die beiden leben, ist eine Beziehungsform, die es so in jedem Bekanntenkreis gibt, die viele der Generation um die dreißig wohl selbst schon erlebt haben oder noch erleben werden. Man kann es Halb-Beziehung nennen – oder auch Mingle-Dasein. „Mingle“, so erklärt es der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann, ist eine Wortschöpfung aus „mixed“ und „Single“.
Der Begriff, der noch nicht so gebräuchlich wie „Fuckbuddy“ oder „Friends with Benefit“ ist, für Beziehungen, in denen man „nur“ miteinander schläft, definiert endlich etwas, was nicht definiert ist. Irgendwie ist man offiziell noch Single, vermischt diese Lebensweise aber mit der eines Pärchens.
So trifft man einen Menschen, den man anziehend findet, man lernt sich kennen, mag sich, küsst sich. Man trifft sich wieder, schreibt sich flirtige Nachrichten, irgendwann hat man das erste Mal Sex, man trifft sich immer wieder, in größeren, in kleineren Abständen. Manchmal geht man auch ins Kino, manchmal telefoniert man, manchmal hört man aber auch ein paar Tage nichts voneinander.
Während das so dahinplätschert, kommen irgendwann diese Fragen auf: Was ist das jetzt eigentlich? Sind wir zusammen? Warum sagt der andere nichts dazu? Stellen wir einander unseren Eltern vor? Schenken wir uns etwas zum Geburtstag? Ist es dann offiziell?

 
Beziehung in der Schwebe

Die Zeiten, in denen ein Kuss oder zumindest der erste Sex es besiegelten, klarmachten, dass das hier nun eine besondere und exklusive Beziehung zwischen zwei Menschen ist, sind vorbei. Leider. Denn heute ist es kompliziert, anstrengend, die Mingle-Beziehung fühlt sich an wie ein Drahtseilakt auf den eigenen Gefühlen.
Gibt man zu viel von sich preis, wenn man nach Klarheit verlangt? Blamiert man sich, so wie Marnie, wenn man eine Beziehung vermutet, wo der andere nur eine Affäre sieht? Aber wie kann er eine Affäre in etwas vermuten, was sich doch nach so viel mehr anfühlt: Man geht doch schließlich auch gemeinsam aus, trifft Freunde, spricht über Femen-Aktionen oder Harald Schmidt.
„Ich beobachte das tatsächlich als Phänomen: Viele Leute wissen nicht mehr, ob sie nun in einer Beziehung sind oder nicht“, sagt Diplom-Psychologin Wiebke Neberich, wissenschaftliche Beraterin bei eDarling. „Auffällig wurde es für mich, als ich für die Humboldt-Universität eine Studie durchführte und zu Beginn des Fragebogens die demografischen Angaben abfragte, Alter, Geschlecht, Beziehungsstand.“
Zahlreiche der Teilnehmer hätten hier nämlich kein Kreuzchen machen können – waren sie nun alleinstehend oder in einer Beziehung? Sie hätten es schlicht nicht gewusst, berichtet Wiebke Neberich, „ich habe dann mit den Leuten gesprochen, die mir erzählten, sie würden sich zwar mit jemandem treffen, aber was genau das sei, das könnten sie nicht sagen.“

 

Kapitalismus auf dem Partnermarkt

Es gibt verschiedene Gründe für diese neue Unverbindlichkeit. Der zentrale und wichtigste ist wohl die Angst, zu viele andere, vielleicht bessere Möglichkeiten auszuschließen, wenn man sich eindeutig zu einem Menschen bekennt. „Der Partnermarkt funktioniert zunehmend nach dem kapitalistischen Gedanken der Gesellschaft“, sagt Lisa Fischbach, Diplom-Psychologin bei Elite Partner.
„Da ist die ständige Optimierungstendenz, der Gedanke, dass es vielleicht noch einen Besseren gibt.“ Das sei insofern problematisch, weil es permanente Unruhe und Verunsicherung mit sich bringe, die auf dauerhafte Bindung und Geborgenheit kontraproduktiv wirke.
Und das doch auf zwei Seiten: Der, der glaubt, er könne jemanden finden, der wirklich alle Ansprüche erfüllt, kann mit jemandem, der nur einige der Ansprüche erfüllt, nicht bedingungslos glücklich werden, kann sich nicht entspannen, sich nicht auf eine Beziehung einlassen.
Die große Freiheit, das Gefühl, das auch das scheinbar unendliche Angebot des Online-Datings vermittelt, dass immer nur einen Klick weiter doch jemand sein könnte, wird so zum Gefängnis. Zum Gefängnis aus Angst, etwas oder jemanden zu verpassen.
Daraus wird schnell eine Angst vor zu großer Nähe – denn mit der Nähe käme doch der Zeitpunkt, an dem man sich bekennen muss. Und natürlich ist derjenige, der bereit wäre, sich zu binden, aber an genau so jemanden gerät, ebenso ein Opfer der Mingle-entalität. Eines das unverschuldet in diese Halb-Beziehungssituation gerät und darin feststeckt.


Eine Frage des Selbstbewusstseins

Es scheint doch wahrlich wie eine Falle: Verlangt, fragt, fordert man zu viel, läuft man Gefahr, den anderen zu verschrecken und zu vertreiben. Macht man das Ganze mit, leidet man unter dieser quälenden Ungewissheit, dem Gefühl hier die ganze Zeit irgendwie hingehalten zu werden. Gerade jüngere Menschen mit weniger Beziehungserfahrung würden unter diesem Phänomen leiden, berichtet Lisa Fischbach.
Es fehlt das Wissen, dass es doch mit keinem Partner auf Dauer hundertprozentig perfekt läuft. Es fehlen Mut und vielleicht auch Selbstbewusstsein, die Dinge aus- und anzusprechen, es herrschen Unsicherheiten über Dynamiken in Beziehungen. Und so landet man allzu schnell in der Mingle-Falle.
Doch nicht nur die Angst, den einen zu verpassen, wenn man sich zu dem oder der anderen mal so richtig bekennt, bremst den Bindungswillen, auch der explizite Wunsch nach Selbstverwirklichung stellt sich, gerade bei der Generation um die dreißig, dem bekennenden Pärchendasein entgegen.
Reinhold Popp, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Zukunftsstudien in Salzburg, beschäftigt sich auch mit Theorien rund um die Zukunft von Beziehungen. Er stellt fest: „Die Menschen haben eine immer größere Sehnsucht nach Freiheit. Also versuchen sie auch, so eine ‚offizielle‘ Entscheidung für eine Beziehung so lange wie möglich hinauszuschieben.“ Die bringe schließlich weitere Verpflichtungen mit sich, „da kommen dann Fragen nach einer gemeinsamen Wohnung oder Kindern auf“, sagt Popp.
So bleibe man lieber in einer „mittleren Unsicherheitsposition“. Denn auch wenn junge Menschen sich theoretisch eine Beziehung wünschen – eine Allensbach-Studie belegte unlängst, dass 56 Prozent der unter 24-Jährigen eine Partnerschaft für das „Wichtigste im Leben“ halten –, sieht die Realität anders aus.
„Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, sagt Popp. „Die Sehnsucht nach einer Beziehung ist da, wenn sich aber Komplikationen auftun, lebt man lieber noch ein wenig länger sein buntes Leben.“

 

Kein Commitment, viel Stress

Kompromisse machen oder wegen Freund oder Freundin Nachteile in Kauf nehmen? Das erscheint vielen unattraktiv. „Bei unter 30-Jährigen liegt der Fokus noch sehr stark auf den eigenen Bedürfnissen. Und zu denen zählt in diesem Alter noch nicht das nach einem festen Commitment“, sagt Wiebke Neberich. Stattdessen wolle man sich unabhängig weiterentwickeln, herausfinden, was und wen man wirklich will.
Und macht es sich leicht, scheinbar. Führt halbe Beziehungen, bei denen man nicht Schluss machen muss, weniger Pflichten hat, datet parallel mehrere Menschen, alles ganz locker eben. Aber ist es das wirklich?
„Natürlich ist das Ganze unglaublich stressig, aber man nimmt den Stress in Kauf, solange man empfindet, dass die Vorteile einer solchen Lebensweise überwiegen“, sagt Neberich. Doch so locker manch einer diese Dating-Situation finden mag, für den anderen kann sie eine Qual bedeuten.
Wer sich nicht binden mag, dabei aber widersprüchliche Signale sendet, weil er eben doch ganz gerne mal ein Wochenende auf dem Sofa kuschelt und in Kauf nimmt, dass der andere sich Ernstes erhofft, wo nichts Ernstes sein soll, fügt dem Partner (der ja keiner sein soll) echten Schaden zu.
Es macht traurig, das Gefühl zu haben, nicht zu genügen, nur der Lückenbüßer zu sein, bis etwas Besseres kommt. Und es kann dauerhaft Probleme im Leben des anderen verursachen, wenn der unfreiwillige Mingle dann selbst in der darauffolgenden Paar-Situation zögert und zaudert, weil er Angst hat, wieder so verletzt zu werden.

 

Frauen hoffen – und wissen es einfach nicht

Klassischerweise sind es meist Frauen, die in solche Situationen geraten, die „hoffen“, in einer Beziehung zu sein. Es aber nicht wissen. Die Soziologin Eva Illouz, die in diesen Zusammenhängen so gerne zitiert wird, konstatiert, dass generell eher Männer sich lieber gar nicht fest binden, als dies mit dem Gefühl zu tun, nicht die Allerbeste an ihrer Seite zu haben.
Auch, weil sie ihr Selbstwertgefühl nicht aus Partnerschaft und Ehe gewinnen – im Gegensatz zu Frauen, die sich nach wie vor über Familie definieren.
So berichtet mehr als jede dritte Singlefrau zwischen 20 und 39, bei der Partnersuche „stets nur bindungsunwilligen Männern“ zu begegnen. Natürlich sorgt auch der Kinderwunsch der Frauen ab dreißig dafür, dass sie dann eher bereit sind, sich festzulegen als Männer.
Und doch müssen die Männer – und natürlich auch die Frauen, die sich beim Gedanken an eine feste Beziehung noch beklommen ans Herz fassen, Klartext reden, miteinander, übereinander. Und Mut zum Bekenntnis aufbringen. Füreinander, gegeneinander oder zumindest dazu, sich nicht bekennen zu wollen.
Aber auch das auszusprechen, kann die Lage entspannen, das Gedankenkarussell des anderen, der vorher jede kleine Geste überinterpretieren musste, jedes Wort im Kopf Hunderte Male hin und her dachte, stoppen. Und eine Entscheidung erlauben: Kann und möchte man so weitermachen – oder eben nicht.

Eine Entscheidung kann befreien
„Wo kaum mehr etwas durch Zwänge bestimmt oder gesellschaftlich angebahnt wird, wird es immer wichtiger, sich zu entscheiden – für einen Partner oder eine Beziehungsform“, sagt auch Psychologin Lisa Fischbach.
Man muss sich also selbst ein wenig der allzu großen Freiheit berauben, um wieder frei durchatmen zu können. Denn: So eine Entscheidung macht tatsächlich frei – und löst den ganzen Stress von hinten auf. „Studien zeigen“, so sagt Wiebke Neberich, „dass man Partneralternativen automatisch abwertet, wenn man sich einmal für jemanden entschieden hat.“
Dann muss man das nur noch mitteilen – und fragen, ob der andere das auch so sieht und auch so möchte. Und sich nicht scheuen und ewig über die richtigen Worte nachdenken. Manchmal ist einfach am besten. So wie Bauer Christian seine Elke in der im Dezember zu Ende gegangenen „Bauer sucht Frau“-Staffel fragte: „Ich find‘ dich so toll. Was hältst du denn davon, wenn wir zusammen eine Beziehung starten?“
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Eine Antwort zu Sind wir zusammen? Oder was? Das Leben als Mingle

  1. Hebergement web sagt:

    Die Zeiten, in denen ein Kuss oder zumindest der erste Sex es besiegelten, klarmachten, dass das hier nun eine besondere und exklusive Beziehung zwischen zwei Menschen ist, sind vorbei. Leider.

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