Alleinerziehend: ein fast unmöglicher Spagat

Das Modell „Alleinerziehend“ ist auf dem Vormarsch. Die Zahl derjenigen, die ihre Kinder ohne Hilfe eines Partners großziehen müssen, wächst seit Jahren. Viele von ihnen sind berufstätig, fast die Hälfte sogar in Vollzeit. Eine Situation, die nur schwer zu bewältigen ist.

Fast 100 Bewerbungen hat Monika geschrieben. Die 39-Jährige aus Marl bei Recklinghausen versuchte, nach zwei Jahren Pause wieder den Einstieg in den Job zu finden. „In den Vorstellungsgesprächen waren die Arbeitgeber jedes Mal geschockt, dass mein Kind doch noch so klein sei und ob ich überhaupt arbeiten wolle. Was heißt hier wollen: Ich muss!“ Denn Monika zieht ihre zweieinhalbjährige Tochter allein groß und zählt damit zu der wachsenden Anzahl von Alleinerziehenden in Deutschland. Von den 8,4 Millionen Familien mit Kindern sind inzwischen 1,6 Millionen alleinerziehend – und damit jede fünfte Familie. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei 14 Prozent.

Ökonomisches Risiko „alleinerziehend“

Die überwiegende Mehrheit der Alleinerziehenden sind Frauen, zwei Drittel von ihnen sind berufstätig wie Monika. „Eine Vollzeitstelle in näherer Umgebung habe ich nicht gefunden; bei einer Zusage musste ich ablehnen, weil ich jeden Tag zusätzlich zur Kita auf externe Hilfe angewiesen gewesen wäre.“ Nun arbeitet Monika 20 Stunden die Woche im Büro einer Mälzerei. Und auch hier jongliert sie mit der Hilfe von Freunden und Familien, damit es irgendwie geht.

In einer Gesellschaft, in der es üblich ist, dass der Haushalt über zwei Einkommen gesichert wird, ist es ein großes ökonomisches Risiko, alleinerziehend zu sein. Allerdings gehen die einzelnen europäischen Staaten unterschiedlich mit dieser Situation um. Hans Bertram, Professor für Mikrosoziologie an der Berliner Humboldt-Universität, schildert dies am Beispiel Schweden: „Hier wurden mehrere Instrumente geschaffen, etwa das einkommensabhängige Elterngeld oder bei einem Teilzeitjob die Möglichkeit, dass für Arbeitnehmer bis zum 8. Lebensjahr des Kindes die Sozialversicherungsbeiträge von den Sozialkassen bezahlt werden. Wir in Deutschland haben dagegen eine Mischung aus zielgerichteten Leistungen und Instrumenten, die an die Ehe gekoppelt sind.“

Carmen hat das am eigenen Leib erfahren müssen. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern arbeitet als freie Hörfunkjournalistin. „Ich habe schon während meiner Ehe darauf geachtet, nie von meinem Mann abhängig zu sein – jedenfalls nicht mehr als unbedingt notwendig. Das halte ich heute für die klügste Entscheidung überhaupt.“ Da der Vater der Kinder nicht zahlt, ist die 33-Jährige auf den Unterhaltsvorschuss des Jugendamts angewiesen – und der läuft bald aus. „Mir scheint, dass der andere, nicht erziehende Elternteil eine Menge Rechte hat, aber kaum Pflichten. Eine Pflicht ist in meinen Augen keine Pflicht, wenn es keine Sanktionen gibt, die einen ermuntern, diese Pflicht auch auszuüben.“ Bald wird Carmen darauf angewiesen sein, von ihrer Arbeit sich und drei Kinder ernähren zu müssen. Eine Vollzeitselbstständigkeit kann sie sich nur unter größter Kraftaufbietung und mit optimaler Kinderbetreuung vorstellen.

Bruch beim Schuleintritt

Genau das ist nach Ansicht des Soziologen Bertram Teil des Problems. „Alleinerziehende müssen nicht nur die ökonomische Situation einigermaßen vernünftig managen, sondern auch die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf individuell lösen. In vielen anderen Ländern stellen sich diese Probleme nicht mehr.“ Hierzulande nimmt die Betreuung früh zeitlich und qualitativ ab; spätestens beim Schuleintritt gibt es einen Bruch.

Es wundert daher nicht, dass der aktuelle Familienreport der Bundesregierung ausweist, dass Eltern und insbesondere Alleinerziehende sich „Maßnahmen der Zeitpolitik“ wünschen. Und Unternehmerinitiativen sprechen bereits davon, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist. Denn knapp 40 Prozent der Alleinerziehenden sind regulär beschäftigt und verfügen über hohe Bildungsabschlüsse. Die besonders jungen Alleinerziehenden jedoch haben nicht nur geringere schulische Kenntnisse, sondern oft noch nicht einmal einen Abschluss. Die Konsequenz: Sie sind langfristig auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Ohne Netzwerk geht es nicht

ie selbstständige Übersetzerin Andrea aus Düsseldorf teilt diese Einschätzung: „Ich denke, mit Studium und qualifizierter Ausbildung ist es trotz allem leichter, denn ich habe mehr Auswahlmöglichkeiten. Zur Not kann ich immer noch putzen gehen, aber es ist nicht das einzige, was mir bleibt.“ Andrea hat eine zehnjährige Tochter, als freiberufliche Übersetzerin hat sie schon vor ihrer Schwangerschaft gearbeitet. Als auf dem Land mangels Betreuungsmöglichkeiten die Kunden ausblieben, zog sie in die Stadt. Das half – ebenso ein funktionierendes privates Netzwerk. „Meine Familie und meine Freunde unterstützen mich und hier gibt es mehr Frauen in gleicher Situation, die gegenseitige Hilfe wird unkomplizierter gewährt.“

Solche Netzwerke müssen jedoch immer noch in Eigenregie organisiert werden. Mütterzentren, wo das sprichwörtliche Dorf entstehen kann, das es braucht, um Kinder groß zu ziehen, gibt es bislang nur in wenigen Pilotprojekten. Der Soziologe Bertram sieht dies besonders kritisch: „Die Vorstellung, dass man eine Familie in einen Kontext einbinden muss, der unterstützt, ist uns eher fremd. Solange wir davon ausgehen, dass Familien als Einzelkämpfer ihr Leben bewältigen können, hat das die logische Konsequenz, dass diejenigen, die nicht einmal einen Partner haben, besonders allein sind.“

Constanze Hacke
ist selbstständige Wirtschaftsjournalistin in Köln.

Copyright: Goethe-Institut e. V., Online-Redaktion
Dezember 2010

 

 

 

 

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